Mein erster Mercedes

Text + Bild: Eberhard Weilke

Die ersten Jahre

Es gibt sie noch, die märchenhaften Onkels in Amerika. Während ich in meinen Kinderjahren zusammen mit meinen Geschwistern auf der Rückbank von sehr gedemütigten B-Kadett oder Ford Taunus durch die Gegend geschaukelt wurde, erzählten die Eltern gerne Anekdoten aus der Geschichte unserer Familie. Eine der beliebteren Erzählungen waren die Schwierigkeiten, meinen Onkel Kurt am 18. August 1966 rechtzeitig in Frankfurt in den D-Zug zu bekommen, damit er am selben Tag das Auto für seine Eltern in Sindelfingen abholen konnte. Onkel Kurt hatte mit seinem Vater bei Lake View Motors auf Long Island einen blauen 200 D mit US-Spezifikationen bestellt, der aber erst noch als Urlaubsfahrzeug für den Besuch der Verwandtschaft in Deutschland dienen sollte. Da kam die Möglichkeit der European delivery gerade recht. Das Auto ist dann mehrere Wochen mit den drolligen ovalen Zollnummern durch Europa gerollt, um via Bremerhaven nach Amerika verschifft zu werden.

 

 

Anscheinend, es war ja kaum anders zu erwarten, waren die Eltern meines Onkels mit ihrer neuen Erwerbung sehr zufrieden, da er ein paar Jahre später einen 220 D für sich nachgeholt hat. Allerdings war dessen Auftritt als Vertreter deutscher Maschinenbaukunst nur von kurzer Dauer, da er recht bald in Vermont die passive Sicherheit des /8 bei der Kollision mit einer Kuh unter Beweis stellen konnte. Inzwischen hatte sich die Ölkrise entspannt, so daß ein Buick Riviera die Nachfolge antrat.

Die Flosse hingegen führte das glückliche Leben eines Ruheständler-Wagens, der durch sonntäglichen Kirchgang, Einkaufstouren und Besuchen bei Verwandten auf Long Island nur mäßig Meilen zulegte. Sehr früh hat sie bei einer kleinen Kollision ihren originalen rechten Kotflügel und die Motorhaube eingebüßt, was aber von der dortigen Mercedes-Vertretung so fachmännisch repariert wurde, daß man selbst heute keinen Farbunterschied erkennen kann.

 

 

Da die Mutter meines Onkel keinen Führerschein hatte, auch das gibt es in Amerika, hat Kurt den Wagen nach dem Tod seines Vaters übernommen. Er mußte zu dieser Zeit jeden Tag etwa 200 Kilometer nach New Jersey pendeln, da konnte der Diesel seinen Verbrauchsvorteil voll ausspielen. Das tägliche Pendeln mit der Dieselflosse in der New Yorker Rushhour muß eine recht spannende Geschichte gewesen sein. Wir stellen uns ja die Straßen in den Vereinigten Staaten gerne als breit, glatt und von gemütlich dahinblubbernden Sauriern bevölkerte Pisten vor, auf der freundlich gelaunte Amerikaner einen höflich die Spur wechseln lassen und sich nicht daran stören, wenn man sie rechts überholt. Gemäßigt überholt. New York ist etwas anders. Hier wurden auf zwei Fahrstreifen meistens drei untergebracht, Standspur und Beschleunigungsstreifen sind im allgemeinen nur als Fragment vorhanden. Die Straßenoberfläche erzählt mit reserveradgroßen Schlaglöchern und Querfugen, die eine DDR-Transitstrecke zu einer gepflegten Chaussee adeln würden, das Lied der permanenten Überlastung. Geld zur Reparatur fehlt seit Menschengedenken, was auch die heutige Popularität der Geländewagen und Pickups erklärt.

 

 

Sich hier mit 55 PS in den mit stetig 100 bis 120 km/h dahinströmenden Verkehr zu stürzen, erfordert Mut, den ich nicht auf Dauer aufbringen würde. Das dezente Leerlaufgeräusch im Stau auf dem Cross Bronx Expressway, der seit Jahren als Amerikas gefährlichstes und verstopftestes Stück Straße gilt, sowie die fehlende Klimaanlage haben die Flosse wohl vor weiteren Härten bewahrt. Dazu kam, daß beim Rückwärtsparken das rechte Rücklichtglas zu Bruch ging. Die Preisgestaltung bei Mercedes, O-Ton Kurt: "simply outragous", ließ den Wagen zu einer Art wirtschaftlichen Totalschaden werden, da für $ 254 das Benzin fässerweise durch den neuen Buick Elektra fließen konnte. Mit Klima, Automatik und lässiger Federung ließ sich der tägliche Pendel-Horror auch besser ertragen. So kam die Flosse 1983 erst einmal in die Garage, um als Lagerort für alte Zeitungen zu dienen. Durch seinen Beruf sehr in Anspruch genommen, verlor mein Onkel das Interesse an dem Mercedes, bot uns in Deutschland aber an, für einen USA-Urlaub den Wagen wieder in Betrieb zu nehmen. Leider war ich 1987 bei meinem ersten Aufenthalt in den Staaten noch zu jung, um von diesem Angebot Gebrauch zu machen. Aber drinsitzen und das Riesenlenkrad und die MB-tex Sitze zu spüren, war schon ein erhabenes Gefühl.

Sieben Jahre später, im Sommer 1994, war ich wieder für längere Zeit in den Staaten. Die metrischen Schlüssel habe ich lieber in Deutschland gelassen, bei der Einreise mit einem Touristenvisa kann das zu einem ziemlichen Erklärungsnotstand beim Immigration-Officer führen. Die erste Bestandsaufnahme war ernüchternd. Der Wagen lag mit mehreren Jahrgängen New York Times im Kofferraum durchgefedert auf dem Garagenboden. Wenn man bedenkt, daß die Samstagsausgabe bis fast drei Kilo wiegen kann, läßt sich die Belastung abschätzen. Befreit von soviel Wissen kam das Heck aber wieder auf die Beine und auch die seit Jahren platten Reifen ließen sich wieder aufpumpen. Schlauchlos auf Felgen ohne Hump geht auch nur in Amerika. Weitere Aktionen waren aber in Anbetracht der porösen Bremsleitungen, des frei schwingenden Kupplungspedals und der verräterischen Bremsflüssigkeitsspur im Fußraum nicht möglich. Und richtig, ein defekter Hauptbremszylinder hatte, ich liebe diese amerikanische Pflegementalität, literweise Flüssigkeit in das Bremsgerät gepumpt, bis es in den Fußraum kam. Obwohl der Hauptbremszylinder über eine Firma in Kalifornien für recht wenig Geld zu bekommen war, neu für $ 100, sprengte das Bremsgerät meine finanziellen Möglichkeiten, die Reaktivierung war vorerst auf Eis gelegt.

 

Im nächsten Jahr kam es zu einigen lustigen Momenten, als ich mit einem gebrauchten Bremsgerät im Handgepäck die verschiedenen Sicherheitschecks passieren mußte. Damit es nicht langweilig wurde, bin ich mit Britisch Airways via London Heathrow geflogen, aber für ein Bombe war das Ding sowie das Gekröse neuer Bremsleitungen und Rücklichtgläser einfach zu auffällig. Auch der Immigration-Officer war mit der Erklärung "break booster as a personal gift" nach näherer Betrachtung zufrieden. Er hat sich sicher einige Gedanken über die Gepflogenheiten im deutschen Schenkungsverhalten gemacht, das gehört aber, finde ich, zu seinem Berufsbild.

Mit meinem neuen Satz Craftsman metrischer Schlüssel konnte es ans Werk gehen. Der erste Versuch, den Wagen per Hand aus der Garage zu ziehen, schlug fehl. Ein in Ermangelung seriöser Befestigungspunkte mehrfach um die Achse gewickeltes Seil und das unermeßliche Drehmoment des wiederum neuen Buick LeSables waren die Lösung, der Wagen bewegte sich. Die Bremsanlage war schnell gewechselt, die Radbremsylinder funktionierten noch, und den Kupplungsgeberzylinder konnte ich selbst überholen. Warum das Kupplungspedal aber um zehn Zentimeter verbogen war, werde ich nie herausfinden. Ein Stück ging es mit Gewalt zurück, auf eine endgültige Lösung warte ich noch. Von Sears kam die neue Batterie, alle elektrischen Funktionen waren noch intakt (so viele hat die Dieselflosse nicht); der Motor war also das nächste Ziel. Natürlich klebte nach der langen Zeit die Kupplung; der Buick, das Seil und eine Runde um den Block brachten hier die Lösung.

 

 

Zuerst habe ich das Öl abgelassen, das von der Konsistenz fast in die Fettpresse könnte. Acht Liter Diesel über Nacht in den Motor gefüllt sollten zumindest einen Teil des Schmodders lösen. Beim Durchdrehen mit dem Anlasser, ohne Vorglühen, kam es aber schon zur ersten Zündung. Das klang ja schon nicht schlecht.

Der Besuch beim freundlichen Mercedes Händler führte für meinen Onkel zu einem verblüffenden Erlebnis mit dem deutschen Kundenservice. Ich: "I need an oil-filter for an OM 621 in a sixtysix W110!" Typ hinter Theke: "Actually you have an OM 621 dot eight, my son, but here it is.", dreht sich auf seinem Stuhl, langt in die unterste Schublade und legt einen Haupt- und Nebenstromfilter auf den Tresen. Ich sag zu meinem Onkel: "Ist halt ein Mercedes!" und er legt etwa ein Viertel des erwarteten Betrags auf den Tisch. Diese Ersatzteilversorgung ist zu recht legendär.

Beschwingt ging es an den Einbau der neuen Filter und die Befüllung mit frischem Öl. Der spannende Moment war gekommen, der erste Start. Nach einer Minute Vorglühen zog ich den Starter ganz durch und ein wildes Schütteln ging durch Mark und Bein. Nach zehn Sekunden Drehen begann der Selbstzünder selbst zu zünden. Die Rußwolke verfinsterte für geraume Zeit die Clement Street, doch das örtliche Fire Department kam nicht. Vielleicht war für der Nachbarn der infernialische Lärm Erklärung genug. Die Rußwolke ließ sich zum Teil auf der Motorhaube des Buick nieder, hier war später eine Behandlung mit Lackreiniger nötig. Der Öldruck war am oberen Anschlag, ich ließ den Wagen erstmal eine Stunde laufen, um Undichtigkeiten im Kühler zu finden und einfach mal zu gucken, was passiert. Die Steuerkette war leise, ein paar Ventile klapperten, sonst war alles im grünen Bereich. Die erste Fahrt, ohne Nummernschilder, ging zur Tankstelle, um neuen Diesel zu tanken. Der im Tank war ja jetzt auch schon zwölf Jahre alt. Was will das Herz mehr, der Wagen blinkt, bremst, fährt, raucht und funktioniert in allen vitalen Funktionen. Frisch getankt hieß es aber wieder Abschied nehmen, der Urlaub war zu Ende.


Der Weg zurück

An Weihnachten 1996 verstarb mein Onkel, so daß ich quasi Eigentümer der transatlantischen Flosse wurde. Da das Haus in New York verkauft werden sollte, mußte ich mittelfristig für den Wagen eine Lösung finden. Vorsichtige Anfragen an meinen Vater wurden beantwortet mit: "Kommt nicht in Frage, was du brauchst, ist ein Job, keine Rostlaube." Jetzt war Geduld gefordert. Im Verlauf des Sommers wurde die Frage nach der Verbringung immer drängender. Also habe ich erstmal einen Flugschein gekauft, um "Freunde zu besuchen". Natürlich kam gleich der elterliche Einwand: "Du holst uns nicht die Karre!" "Nein, natürlich nicht, ich geh nur rüber, um eine Lösung zu suchen." Die Lösung hatte ich, aber manchmal ist Schweigen Gold.

Bei der Einreise gab es wieder das übliche Geplänkel: "Purpose of Travel: business or pleasure?" beantwortete ich wahrheitsgemäß mit "pleasure". Der Officer wünschte mir viel "pleasure" mit meiner Fettpresse, in der Gewißheit, die Krauts wohl nie richtig zu verstehen.

 

Natürlich war die Flosse noch so, wie ich sie verlassen hatte, natürlich war die Batterie tot, aber die Reifen hatten die Luft gehalten. Eine neue Batterie (auf Garantie!), frisches Öl und ein Schmierdienst machten den Wagen reisefertig. Die Verschiffung war schon reserviert, diese Aktivitäten konnten meinen Eltern nicht entgangen sein. Jetzt galt es nur, das eine Problem zu lösen: Wie sag ich es meinen Eltern?

 

Es kam zu einem dieser Telefongespräche, wie sie wohl nur Väter mit Söhnen führen können:

 

Sohn: "Vater, der Wagen funktioniert und ist fahrbereit."


Vater: "Was hat das mit mir zu tun?"


Sohn: "Siehe, es ist ein Familienerbstück, die letzte Erinnerung an unsere Verwandten in den Vereinigten Staaten."


Vater: "Restaurationsbedürftig."


Sohn: "Das ist überschaubar, die Schwellerspitzen, etwas Bodenblech und die vorderen Kotflügel. Und der Querträger. Und die Bananenblechspitzen."


Vater: "Bananenblechspitzen, nicht in meiner Garage."


Sohn: "Aber der Chrom ist komplett, die Innenausstattung ist vollständig. Alles was gut und teuer ist, ist vorhanden. Und der Wagen ist nie geschweißt und so verpfuscht worden. Für das Geld kriege ich keinen in Deutschland."


Vater: "Du brauchst auch keinen solchen Wagen."

 

Es war abzusehen, daß das Gespräch so zu keinem Ergebnis führen wird, jetzt waren Argumente gefragt.

 

Sohn: "Das Blech ist weniger Aufwand als bei unserem Taunus und der Motor ist zu schwer für in die Wohnung."

 

Diese Anspielung auf eine Begebenheit in seiner Jugend zeigte Wirkung. Mein Vater hatte damals auf dem Küchentisch seiner Mutter einen NSU Prinz Motor überholt, er war sich durchaus bewußt, woher ich die Veranlagung für alte Autos hatte.

 

Vater: "Dann hol ihn halt. Aber ich rühr daran keinen Finger."

 

 

Das nächste Problem war, den Wagen zum Hafen nach New Jersey zu bringen. Auf der Landkarte sah das ganze gar nicht so weit aus, dazwischen lagen nur 50 Kilometer New Yorker Straßen. Auf einem Flatbed hätte mich der Spaß $ 250 gekostet, Geld, das ich nicht hatte. Zum Glück ergab sich über den Freund eines Freundes, der eine Tankstelle hat, die Möglichkeit, Dealer plates, die vergleichbar mit unseren 06er roten Nummern sind, auszuleihen. Und so ging es dann eines Morgens los. Inzwischen war auch die rechte vordere Bremse festgegangen, was das Fahrverhalten vollends in das Abenteuerliche steigerte. Aber das war nicht tragisch, es entsprach meiner Grundstimmung an dem Tag. Mit einer schwarzen Fahne setzte sich der Konvoi in Bewegung, wiederum ein Buick diente als Begleitfahrzeug. In gemächlicher Fahrt rollten wir auf der Metropolitan Avenue quer durch Queens und Brooklyn, um über die Williamsburg Bridge nach Manhattan zu gelangen. Bei 35° Celsius war ich gespannt, was der Kühler machen wird, aber es gab keine Probleme. Nur beim Bremsen war viel Raum zur Seite nötig, dreifach defensive Fahrweise war bestimmt nicht fehl am Platz. Die 7.25x13 Diagonalreifen hatten nach dreizehn Jahren Standzeit tiefe Risse in den Seiten, rollten aber ohne große Probleme durch den Big Apple. Ich war ziemlich aufgeregt und habe ständig nach neuen Geräuschen aus dem Motorenraum die Ohren gespitzt. Aber nichts, der Wagen lief, als ob es überhaupt kein Problem nach der langen Standzeit geben könnte.

 

In Manhattan standen wir natürlich im Stau, aber zwischen all den Lastern, die über die Delancey Street die Insel queren, ist mein Ruß gar nicht aufgefallen. Der Holland Tunnel auf die Jersey Seite war die nächste Herausforderung, da ich hier die Geschwindigkeit auf atemberaubende 70 km/h steigern mußte. Wäre ich hier liegengeblieben, hätte es richtig Probleme gegeben. Wir kamen wohlbehalten an, und nach etwas Durchfragen waren wir nach zwei Stunden Fahrzeit am Pier angekommen. Da hier Mittagspause war, gab es genug Möglichkeit, den atemberaubenden Blick auf die Freiheitsstatue und die Skyline von Manhattan zu genießen und etwas über internationale Warenströme zu lernen. Die neuen BMW, die abgeladen wurden, hatte ich erwartet. Aber wo das Rudel eingewachster rumänischer Citroën Axel herkam, konnte ich mir nicht erklären. Irgend jemand muß auf die Idee gekommen sein, daß der amerikanische Markt nur auf einen rumänischen Nachbau eines französischen Kleinwagen gewartet hat. Meine Flosse stand sehr erhaben in einer Reihe billiger, kaputter japanischer Unfallfahrzeuge, die in den USA gekauft, mitsamt der Ersatzteile über Bremerhaven nach Polen gebracht und dort repariert werden um dann auf dem russischen Gebrauchtwagenmarkt aufzutauchen. Die Herrschaften, die solche Geschäfte im großen Stil machen, sahen so aus wie Herrschaften, die solche Geschäfte im großen Stil machen. Ich hielt mich lieber fern, um mit meinem direkten Nachbarn Ibrahim, der seinem Bruder einen Buick (wer hätte das gedacht) nach Abu Dhabi schickte, über die Qualität der Produkte aus Sindelfingen zu plaudern. Sein Bruder, sein Vater, sein Onkel und einige mehr wären Taxiunternehmer zu Hause und sind sich einig, "...dei hat kars dschast leig dis, rilli gut kars." Der gute Stern auf allen Straßen.

 

 

Nach zwei Stunden mußte ich einem dicken Mann (und ich schreib das nur, weil er wirklich sehr, sehr dick war) drei der fünf notariell beglaubigten Bill of Sales aushändigen und eine Reihe von Fragen beantworten. "Jack?" "No, Eberhard!" "I mean, sparewheel and jack?" "Yes and yes." "Radio?" "Becker Europa TR". Die Informationen wurden auf den Frachtpapieren vermerkt, damit bei der Auslieferung in Bremerhaven das Radio, das Reserverad und der Wagenheber noch vorhanden sind. Wir durften dann in einem Konvoi über den Lagerplatz fahren, um eng geparkt die Autos abzustellen. Ich hatte noch einen zweisprachigen Handzettel auf den Beifahrersitz geklebt, damit die Dockarbeiter nicht mit dem Glühstarter verzweifeln und auch den Rückwärtsgang finden. Nichts ist schlechter, als wenn die Jungs den Wagen nicht zum laufen bringen und ihn dann mit einem Reifen zwischen den Stoßstangen auf Deck schieben. Vielleicht mit der Planierraupe, die mit meinem Mercedes und den japanischen Kleinwagen auf die Hual Tracer, das Transportschiff, sollte. Das Risiko ist vermeidbar. Ein kurzer Blick auf die gigantischen, am Kai festgemachten RoRo-Frachter, und es ging in einem stinkigen Kleinbus wieder nach draußen.

Nach drei Wochen, ich war inzwischen wieder zu Hause, kam der Wagen wohlbehalten und unbeklaut Mitte September in Bremerhaven an. Die kleinen Japaner waren vielleicht die Schutzengel, da kein halbwegs gebildeter Dockarbeiter aus dieser Ladung Autos etwas demontieren möchte, um nicht neue Schuhe mit einem Fußbett aus Beton zu bekommen. Nur so eine Vermutung.

Mit roter Nummer, nur einer Bremse und wenig Tempo durch die Republik nach Stuttgart zu schleichen, war nicht ganz mein Ding, so daß ich gerne das Angebot der Spedition annahm, für DM 390 den Wagen bis in unsere Garageneinfahrt zu bringen. Für insgesamt DM 2742 steht jetzt die Flosse mit originalen 67 tsd. Meilen auf der Uhr in unserer Garage, in Hellblau 334, ich nenne es gerne Böhringer Blau", der Rennfarbe der Flossen, blauem MB-tex, Becker Radio, Mittelschaltung und den hübschen Stoßstangenhörnern, die meines Wissens zum Export-Lieferumfang gehörten. Oberklasse-Daimler sind ja viele aus den USA zurückgekommen, ich freue mich, daß es so auch mal eine Kleine zurück geschafft hat. Die Unterschiede zu den Fahrzeugen für den deutschen Markt sind im Detail, andere Blinker, ausgeschriebenes "200 Diesel" und alle Angaben in Psi, Fahrenheit und Meilen kennzeichnen die US-Spezifikationen.

Als mein Vater im Arbeitskittel in der Garage auftauchte, um zu sehen, ob ich bei der Überholung der Dreikolben- Girlingbremse "...alles richtig mache..." hatte ich den Eindruck, daß er dem Auto nicht mehr ganz ablehnend gegenüber steht. Erste Anregungen, wie "wir" den Schweller schweißen könnten, nehme ich mit Interesse entgegen. Da ich jetzt auch einen Job habe, sind alle Grundingredienzen für eine erfolgreiche Wiederinbetriebnahme vorhanden: eine gute Basis, pekuniäre Ressourcen und geduldige Eltern mit einer kuscheligen Garage. Mal sehen, wann ich mit der Restauration fertig werde.

 

 

Epilog:

Diese Geschichte habe ich vor 14 Jahren geschrieben. Das Auto ist natürlich immer noch nicht auf der Straße zurück. Aber das kommt noch!

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