Taxi in die Vergangenheit

Unterwegs in Nordafrikas größter Stadt

Text und Bilder: Eberhard Weilke

 

"Ein Taxi hat ein Mercedes zu sein!" Dieser Leitsatz scheint Generationen von Taxiunternehmern ihre Kaufentscheidung bei der Wahl der richtigen Kraftdroschke beeinflusst zu haben. Zumindest hat man diesen Eindruck, wenn unsereins in München, Berlin oder Düsseldorf den Taxistand entlang blickt. Auch in Lissabon, Zürich oder Wien ist die Wahrscheinlichkeit hoch, das sonore Brummeln einer dieselgetriebenen, beziehungsweise das leise Surren einer benzinverfeuerenden Sindelfinger Limousine oder eines Bremer Kombinationskraftwagens zu hören. Zwar scheren manche Länder in Europa etwas aus dieser Tradition aus, so treffen wir in Frankreich gerne französische Fahrzeuge, in Holland waren eine Weile Wolga-Limousinen mit Rover- oder Indendor-Diesel populär, doch ist für ein Gros der Bevölkerung das Verhältnis von Mercedes zum Taxigewerbe fast ein Symbiotisches.

In Afrika ist alles anders: Zwar bestimmt auch hier eine konservative Grundhaltung die Wahl des Fuhrparks, die Gepflogenheiten jedoch sind hier regional durch die Geschichte geprägt. Während im Magreb die ehemalige französische Kolonialherrschaft heute noch in Form von Renault 12, Renault 21 Nevada, Peugeot 504 und 505 Break ihre Spuren hinterlässt, bestimmen in Ägypten wirtschaftshistorische Gegebenheiten das taximorphologische Stadtbild. Zwar finden wir auch in der größten afrikanischen Stadt die unkaputtbaren Peugeot 504 und Renault 12 in großer Zahl - selbst ein einzelner Ford Consul legt Zeugnis ab für das untergegangene britische Empire - das traditionelle Kairoer Taxi jedoch blickt aus seinen Fiat 1500 Augen auf den arabisch geprägten Verkehr. Nach der Unabhängigkeit von England pflegte Nasser eine auf die wirtschaftliche Autarkie erpichte Importpolitik. Durch den Suez-Kanal mit Devisen leidlich versorgt, durften aus dem Kreis der ausländischen Firmen in Ägypten nur verkaufen, wer auch im Land produziert. So kam es, dass Fiat in den 50er Jahren eine Produktionsstätte für den Fiat 1500 errichtete. Nur am Rande bemerkt, diese Tradition des ägyptischen Automobilbaus lebt noch heute fort, neben Opel Vectra, BMW 3er und 5er werden auch Mercedes C- und E-Klasse aus SKD- und CKD-Bausätzen in den Außenbezirken Kairos zusammengesetzt. Auch der ferne Osten ist mit Werken von Isuzu, Deawoo und Toyota im nahen Osten vertreten.

 

Aus deutschen Landen ein Fahrzeug zu erwischen, ist natürlich unter diesen Voraussetzungen äußerst schwierig. Die Taxen deutscher Abstammung sind ausnahmslos schwäbischer Provenienz. Als ältester Vertreter hält tapfer ein Ponton den Spitzkühler im Fahrtwind, der jüngste Wagen dürfte der /8 sein, der jeden Tag am Nile Hilton auf lukrative Touristenfahrten hofft. Ein einzelner W108 bewegt sich schon sehr geschlagen mit hängendem Heck durch die Stadt, so ist es die Flosse, die am zahlreichsten das Haus Mercedes Benz beim Taxigewerbe am Nil vertritt.

Ich schätze den Bestand auf noch ca. 15 Überlebende, die in verschiedenen Verfallszuständen ihr täglich Brot verdienen müssen. Der modernere W123 - Mercedes' Mittelklasse-Aufgebot der späten 70er - ist vereinzelt bei der Polizei anzutreffen, die noch neueren 190er und W124 erfreuen sich bei Limousinendiensten großer Beliebtheit. In privater Hand genießen alle Mercedesbaureihen hohe Wertschätzung, zahlenmäßig sind hier der W123, W126 und W124 stark vertreten. Wer sich glücklich schätzt, einen Mercedes zu fahren, pflegt diesen auch, so dass einige sehr gut erhaltene W108, W115 bis hin zu Ponton-S-Klasse das Straßenbild schmücken. Die reichere Haut Volee zieht es hingegen zum S-Klasse-Modell der 90er Jahre, dem W140, und der bereits genannten, im Land produzierten aktuellen E-Klasse des Typs W210.

Räusper, damit mit der Mercedes-Baureihenterminologie nicht ganz vertraute hier nicht den Faden verlieren: Generell lässt sich feststellen, dass beinahe alle Nachkriegsmercedes (und ich meine hier sogar den zweiten Weltkrieg) in Kairo vertreten sind. Generell hohe Wertschätzung finden dabei die Limousinen, Coupes, Cabrios oder Kombis sind absolute Exoten.

Einem Sechser mit Zusatzzahl gleich war das Glück, unter diesen Vorraussetzungen einen 200 Diesel abwinken zu können. Dass schon zwei Fahrgäste auf der Fondsitzbank saßen, stört in dieser Stadt nicht wirklich, problemlos werden die verschiedenen Destinationen abgefahren, so dass man trotz alledem hinreichend schnell und dafür äußerst günstig an sein Fahrziel kommt.

Ich nannte dem Chauffeur meinen Wunsch, das Museum für Islamische Keramik aufzusuchen, was von meinen Mitreisenden mit Wohlwollen und Glückwünschen zur guten Wahl meines Fahrziels quittiert wurde. Mit einer Fahrpreisforderung von 20 Pfund ging der Fahrer in die Offensive. Ich lächelte, wies ihn auf den Umstand hin, dass wir schon zu Dritt in seinem Wagen säßen, ich seine Leidenschaft, dieses alte Fahrzeug zu hegen und pflegen, sehr schätzte, und ich daher einen Obolus von drei Pfund als das äußerst Vertretbare erachten würde. Die blanke Angst war ihm ins Gesicht geschrieben und ich konnte deutlich aus seinen Augen lesen, dass ich bei diesem Fahrpreis den Hungertod seiner Kinder, seiner Frau, seiner Brüder und der meisten seiner Onkels mittelbar zu vertreten habe. Da ließ ich mich doch bereit schlagen und erhöhte auf fünf Pfund mit der Gewissheit, dass der Betrag von ca. DEM 2,50 kein allzu großes Loch in meine Reisekasse reißen würde.

Erlaubt mir hier einen kleinen Exkurs in die Kairoer Fahrpreisfindung. Es gibt grob vier Tarife: Den Touristentarif, der bei 20 Pfund beginnt und pauschal von allen Taxen an den Ständen der großen Hotels verlangt wird. Dies ist jedoch mit dem Privileg verbunden, in einem der besseren und größeren Wagen transportiert zu werden, meistens ein Peugeot 504 Break oder Fiat der 70er Jahre. Dann gibt es den normalen Ausländertarif, wie er von Residenten, dass heißt, von in Kairo lebenden Ausländern zu berappen ist. Er staffelt sich in drei, fünf, sieben und zehn Pfund, entsprechend der Wegstrecke. Eine zehn Pfund-Strecke bringt einen zum Beispiel über eine der Nilbrücken im Berufsverkehr, für drei Pfund kommt man sicher von einem in den anderen Stadtteil. Wichtig ist, das Geld immer passend bereit zu haben, da Wechselgeld auf magische Weise nie vorhanden ist.

Der nächste Tarif ist der Tarif für die Einheimischen, der etwa bei 2/3 der gerade genannten Tarife liegt. Der vierte Tarif ist der Tarif, der auf der Uhr steht. Er wurde, ich glaube, 1981 festgelegt und seither nicht mehr erhöht. Getrost kann man ihn verfünfzigfachen, da wirklich niemand erwarten kann, für eine Handvoll Piaster durch die Stadt gebracht zu werden. Allerdings führt dies regelmäßig zu Verdruss, wenn ordnungsliebende, frisch eingeflogene Deutsche diese Gepflogenheit nicht kennen, auf die Gültigkeit des Uhrpreises beharren und am liebsten zu Hause das Ordnungsamt einschalten wollen.

Doch zurück ins Taxi: Die Fahrt war flott, doch sehr komfortabel. Der Erhaltungszustand des Wagens frappierend gut, ein stolz am Armaturenbrett angebrachtes Schild wies den Wagen als einen im Oktober 1966 gebauten aus. Wie der Zufall so will, ist meine eigene Flosse nur drei Monate vorher produziert worden, so dass ich mich gleich ganz heimisch fühlte. Der Fahrer beherrschte souverän die Lenkradschaltung, der Motor überzeugt durch einen ruhigen Lauf, wie ihn nur ein komplett kompressionsloser Diesel zustande bringt, die Tour hätte nach meinem Geschmack so Stunden dauern können.

Im lockeren Frühabendverkehr ging es flüssig voran, so dass allzu schnell das Fahrtziel erreichten. Am Museum angekommen, bedankte ich mich für den stilvollen Transport, gab dem Fahrer zehn Pfund mit der Vorgabe, das Geld redlich mit seinem Fahrzeug zu teilen um es noch viele Jahre in Betrieb zu halten. Nach kurzem Verabschieden verschwand die Flosse leise grummelnd im Verkehr.

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