Der Friedhof der Luxustiere

Impressionen von einem Schrottplatz in New York

Text und Bild: Eberhard Weilke

Drückende Hitze, ein im Wind quietschendes Wasserrad, vertrocknete Steppe, eine Klapperschlange sucht klappernd das Weite. Dazwischen Chevrolet Bel Air, rostige Chrysler, von Ford ein T- und ein A-Model, der Edsel wendet verschämt seine anzügliche Nase zum Wellblechverschlag...

 

In etwa so stellen wir uns gemeinhin in den USA einen Schrottplatz vor. Allerdings ist das Land groß, und was für den Westen gilt, hat erfahrungsgemäß in New York keine Bedeutung. Da Zahnärzte, Anwälte, Werbetreibende und andere Freiberufler in dieser Stadt für ihre Mobilitätsbedürfnisse gerne auf europäischen Autoadel zurück griffen, war es auch das prägnante Heck des Jensen Interceptor, welches mich an diesem Sommertag zu einer Vollbremsung in Brooklyns Süden veranlasste und beinahe eines der berühmten New Yorker Taxen meinen Ford Taurus Mietwagen kaltverformen ließ. Halbwegs legale Parklücke suchen, die Kamera schnappen und über die Straße eilen war eine nahezu flüssige Bewegung. Sicherlich, Hektik war in dem Moment vollkommen unangebracht, die Autos standen da schon eine Weile und es machte nicht den Eindruck, daß sich dies in den nächsten Minuten ändern würde, doch wie so häufig ist Ratio nicht mehr gefragt, wenn unsereins selten Kraftfahrzeug begegnet.

 

Vor mir lag eine Baulücke, auf der ein gutes Duzend offensichtlich ausrangierter Luxuswagen der, grob geschätzt, letzten vierzig Jahre traurig dem endgültigen Ende entgegen dämmerte. Tatsächlich befand sich, bis auf den Chryslermotor im Interceptor und den fast europäischen Studebaker, nichts von amerikanischer Provenienz auf diesem Friedhof der Luxustiere. Naja, bei dem enthaubten Coupe in der ersten Reihe bin ich mir seiner Abstammung nicht ganz sicher, wenn jemand etwas Genaueres weiß, bitte ich um Weitergabe dieses Wissens.

 

Jedoch stand mit dem Studebaker Avanti wohl einer der absoluten Höhepunkte amerikanischer Automobilgestaltung auf dem Platz. Raymond Loewy zeigte in diesem zeitlosen Kunststoffcoupe sein ganzes Können. Den Niedergang der einstmals stolzen amerikanischen Marke konnte der Avanti allerdings nicht aufhalten, auch wenn heute noch ein paar Unentwegte an seiner Wiederauferstehung basteln. Unter der Haube recht kraftvolle V8-Motoren, als Spitzenmodell sorgte ein 575 PS Kompressormotor für mächtig Vortrieb, jedoch dürfte das Ausnutzen dieser Leistungsspitze auf blattgefederten Starrachsen an Kastenrahmen trotz der Scheibenbremsen ein stark prickelndes Erlebnis sein. Allerdings knüpft Studebaker wieder die Klammer zum europäischen Automobilerbe, war doch der in South Bend, Indiana beheimatete Hersteller bis Mitte der 50er Jahre der amerikanische Importeur für Mercedes-Benz Fahrzeuge.

 

Den englischen Automobilbau repräsentierte der schon erwähnte Jensen Interceptor. Strenggenommen kann nach den Fotos nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden, ob hier wirklich ein Interceptor, oder doch eher ein Jensen FF seine wohlverdiente Ruhe gefunden hat. Der FF, das erste Automobil mit permanemtem Vierradantrieb nach "Formula Ferguson", unterscheidet sich vom Interceptor äußerlich nur durch den etwas längeren Vorderwagen mit vier statt drei Lüftungsschlitzen hinter dem vorderen Radausschnitt. Zwei Jaguar XJ, ein MK 2 sowie der natürlich nicht vermeidbare E-Type ergänzten die britische Runde.

 

Italien vertraten ein Alfa Romeo GTV sowie ein Lancia Flavia 2000. Das äußerst seltene Coupe ist schon in Europa fast unbekannt, wie es diesea Exemplar über den Atlantik geschafft hatte, wird wohl für immer das Geheimnis des Erstbesitzers bleiben. Zumal die Motorisierung, es stand ein 1.9 Liter Vierzylinder mit 125 PS zur Vefügung, für amerikanische Verhältnisse als recht bescheiden galt. Angeboten von 1971 bis 1974, war nach 14.319 gebauten Exemplaren Schluss.

 

Von handfesterer Natur war da dann doch der Alfa Romeo GTV, der mit seinem 2.5 Liter V 6-Motor eine recht quirlige Fahrdynamik an den Tag legte. Mit 158 PS, die per Heckantrieb in Transaxle-Bauweise auf die Straße gebracht wurden, gehörte er in der alten und neuen Welt zu den ganz Schnellen auf der Straße. Hier wie dort plagten dieses von der Veranlagung her recht ansprechende 2 + 2 Coupe entspannt gestaltete Anbauteile aus Kunststoff, so daß hier ausnahmsweise nicht das US-Modell die Rolle des hässlichen Entleins einnehmen muss, wie wir es beispielsweise vom Gummiboot-MGB kennen. Der große GTV sieht immer unglücklich aus. Während die Vierzylindermodelle noch durchaus gefallen konnten, läutete der Sechsender den Niedergang der norditalienischen Gestaltungsführerschaft ein. Ein paar Jahre agierte Alfa Romeo dannach noch leidlich erfolglos mit den Modellen 75, 90 und schließlich 164 am Markt, bis Mitte der 90er sich, bis auf Ferrari, der italienische Automobilbau völlig aus dem US-Markt zurückzog.

 

Etwas Italien steckt auch in dem Bitter SC, der den Reigen deutscher Automobile eröffnet. Schließlich war es Michelotti, der dieses aus Schwelm im Bergischen Land stammende Coupe gestaltete, für den Vortrieb sorgte biedere Rüsselsheimer Großserien-Motorentechnik. Teilweise bei Maggiora in Turin gefertigt, hatten die Bitter CD mit ihrem Vorbild Ferrari 412 gemein, dem Rost nur unzureichend Widerstand zu leisten. Es dauerte eine Weile herauszufinden, daß der Transport von nur grundierten Rohkarossen in offenen Güterwaggons über die Alpen der Langzeithaltbarkeit nicht zuträglich war. Im Gegensatz zur rassigen Karosserie bot die Motorisierung Gutbürgerliches, jedoch versöhnte der Reihensechszylinder aus dem Opel Senator durch sein robustes Wesen. Der SC wurde übrigens auch mit dem Ferguson-Allradantrieb angeboten.

 

Als weitere, ganzheitlich erheblich solidere Vertreter deutscher Automobilbaukunst teilen sich ein früher 7er BMW, sowie aus dem Hause Daimler Benz, ein W 116, ein /8 sowie der kosmopolite W 123 die Ehre.

 

Wie diese illustre Schar zusammen kam, welches menschliche Schicksal hinter dieser etwas seltsamen Sammlung steckt: Ich weiß es nicht. Jedoch üben sie, auch wenn der Sonnenuntergang nicht ganz so spektakulär war und ich anstatt eines Coyoten einen Traffic-Cop von meinem Mietwagen vertreiben musste, heute eine ganz besondere Anziehung auf mich aus.

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