Internationales Schaufenster der Klassikerszene
Text: Eberhard Weilke Bild: Eberhard Weilke, Thomas John, Marc Heckert, Frank Kellewald
Es gibt zwei Strategien, die Techno Classica in Essen zu bewältigen: Entweder legt man sich vorher anhand des Messekatalogs einen definierten Besuchsplan fest, den man dann auch stoisch abläuft um all die Stände zu sehen, die man auf jeden Fall sehen wollte oder man lässt sich einfach treiben und bummelt von Stand zu Stand und hält die Augen für Überraschungen offen. Jeder Versuch, an einem Tag die gesamte Messe zu sehen, wird misslingen. Zu groß ist diese Messe, zu vielfältig das Angebot. Ein Tag reicht für einen groben Überblick. Für einen halbwegs umfassenden Messebesuch sollte man schon zwei Tage einplanen.
Übrigens misslingt auch jeder Versuch, sich mit jemandem auf der Messe zu verabreden. "Treffen wir uns in einer Viertel Stunde in Halle 1a" führt immer dazu, dass man selbst noch zwei Bekannten über den Weg läuft, die einen zu einem kurzen Plausch auf ihren Stand abschleppen, der sich dann zu einer halben Stunde ausdehnt. Das ist aber nicht weiter tragisch, weil der ursprüngliche Gesprächspartner sich in einem Buchstand festgelesen und sich sowieso irgendwo zwischen Halle 3, Galerie und Durchgangshalle 12 verlaufen hat.
Was war also das Geheimis, dass sich die Techno Classica zu einer der bedeutendsten Klassikermesse in Europa entwickelt hat und jedes Jahr um die 150.000 Besucher nach Essen pilgern?
Es war die Mischung aus lebendiger Markenclubszene mit liebevoll gestalteten, teilweise improvisierten Ständen und den mit allen Regeln des professionellen Messebaus ausgestatteten Präsentationen der Händler und Restaurateure, die Essen als Schaufenster für ihre Branche nutzten. Es war der Kontrast aus hochpreisigen Edelfahrzeugen, die im Glanz der Scheinwerfer sich präsentieren zu den Alltagsautos der vergangenen Jahrzehnte, die ihre nicht minder faszinierenden Geschichten erzählten.
Ein Trend zur Professionalisierung zeigte sich auch in der immer stärkeren Präsenz der Automobilhersteller. Sie nutzten die Plattform der Messe, um ihre Marke zu präsentieren und so waren viele Herstellerstände aufwendiger gestaltet als die Präsenzen auf den normalen Automobilmessen.
Im Gegensatz dazu gab es aber immer noch die kleinen Stände der Markenclubs, die mit viel Liebe zum Detail und einem gehörigen Maß an Improvisationstalent den Gegenpol bildeten. Was am Budget fehlte, wurde durch Originalität mehr als wett gemacht.
Zuerst schauten wir uns bei unserem Rundgang aber die Hersteller-Stände an:
Arbeitsautos aus dem Norden
Bei Volvo lag dieses Jahr der Schwerpunkt eindeutig bei Autos, die in ihrem Leben zuverlässig ihren Dienst haben leisten müssen. Wir sehen (von links nach rechts): Einen Volvo 940 von 1996 als Polizeieinsatzfahrzeug, einen PV831 Schienenwagen von 1953, der zwanzig Jahre lang die Schienen schwedischen TGOJ-Eisenbahn befuhr, einen PV824 Krankenwagen, der von 1947 bis 1965 für das des Centralsanatorium Arvika im Einsatz war, einen PV544 der 23 Jahren in Schweden im Militärdienst stand, ein PV822 Taxi, das von 1947 bis 1969 eine halbe Million Kilometer als achtsitziges Taxi in und um Östersund zurücklegte sowie einen liebevoll restaurierten 210 Duett, der für die schwedische Telefongesellschaft unterwegs war.
Falls irgendwo Zweifel herrschten, heckgetriebene Fahrzeuge aus Göteborg könne man nicht auch mal etwas härter herannehmen, sollten diese jetzt ausgeräumt sein.
Ulkige Autos aus dem Süden und Osten
Die heutige VW-Tochter Seat erinnerte sich ihrer Vergangenheit, die ja stark mit Fiat verwoben war. Sehr selten sieht man ja noch einen Malaga im Straßenbild, der Ronda (wie übrigens auch sein Vorbild bei Fiat, der Ritmo) sind gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden. Mit dem Papst-Panda hatte man ein echtes Kleinod nach Essen gebracht: Zum Ersten: Das Ding ist echt! Beim Weltjugendtag 1982 war es im Einsatz, um Papst Johannes Paul II durch das Stadion Santiago Bernabeu in Madrid zu fahren. Zum Anderen: Ja, zu Zeiten der Kooperation mit Fiat wurde das Auto als Panda verkauft, den mondänen Namen "Marbella" trug die kleine Kiste erst mit Übernahme der spanischen Marke durch den VW-Konzern.
Der tschechische Hersteller Skoda zeigte, dass man schon vor Übernahme durch Wolfsburg verstand, hochwertige und solide Autos zu bauen.
Viel zu feiern bei den vier Ringen
Der Audi-Stand stand dieses Jahr im Zeichen von zwei Jubiläen. Es ist vierzig Jahre her, dass der erste Audi 100 auf Deutschlands Straßen rollte und es ist fünfundzwanzig Jahre her, dass der Audi Sport Quattro weltweit im Rallye-Sport alles wegputzte, was Rang und Namen hatte. Besonders gefallen hat der authentische Begleit-LT, der auf dem Stand echte Rallye-Atmosphäre ausstrahlte. Man konnte fast meinen, Michèle Mouton und Hannu Mikkola kommen gleich um die Ecke.
Farbenfroh und flippig bei Volkswagen
Wenn man heute die dröge Welt der silbernen Firmenflotten-Passats betrachtet, kann man kaum glauben, wie farbenfroh es früher bei Volkswagen zuging. Da im Sommer diesen Jahres der neue Scirocco 3 auf den Markt kommt, hat der Typ 53 und 53b viel Raum bekommen. Positiv aufgefallen ist, dass man die Klassiker nicht als Beiwerk für die Präsentation eines Neufahrzeuges verwendete, sondern auch ein Bekenntnis für den Erhalt der alten Modelle ablegte. So zeigte eine aus Neuteilen zusammengesetzte Karosse, welche Blechteile für den Typ 53b noch ab Werk verfügbar sind.
Der Peugeot 205 feiert Jubiläum
Der Peugeot-Stand war dieses Jahr ganz dem 205 gewidmet. Von 1983 bis 1996 importiert, ist es ja bis heute die erfolgreichste Baureihe des französischen Herstellers im deutschen Markt. Bemerkenswert war ein 205 GTI, der mit fast 500 tkm im Originalzustand zeigte, dass auch ein "hot hatchback" aus Frankreich durchaus standfest sein konnte.
Bemerkenswert waren auch die zwei ausgestellten Turbo 16: Als Antwort unter anderem auf den Sport Quattro gebaut, sollten diese Gruppe B-Fahrzeuge die Rallye-Weltmeisterschaft (übrigens wiederum mit Michèle Mouton am Steuer) aufmischen. Das Ende der Gruppe B lies diesem faszinierenden Mittelmotorauto nur noch das Pikes Peak Bergrennen sowie die Rallye Paris-Dakar zur Entfaltung seiner sportlichen Anlagen.
Erheblich beschaulicher ging es auf dem Nachbarstand, bei der Konzernschwester Citroen, zu. Ein TPV Enten-Prototyp war hier von Interesse.
"Geschichte der Effizienz" bei Mercedes-Benz
Mehr als die Hälfte der Halle 1 belegte der Stand von Mercedes-Benz. Sehr schön zusammengestellt war dabei die Ausstellung an Meilensteinen in der Effizienzsteigerung bei Kraftfahrzeugen. Kompressor-Aufladung, Dieselmotor, Vierventiltechnik: All das waren Entwicklungen, die maßgeblich dazu beitrugen, den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren.
Eine zweite Themenausstellung war natürlich wieder dem Mythos SL in allen seinen Formen gewidmet. Ob man mal ein Jahr ohne dieses Thema auskommt, scheint wirklich fraglich...
Die verschiedenen von Mercedes-Benz anerkannten Markenclubs hatten sich mit Fahrzeugen vorstellen können, vom Modellautoclub über die Heckflossen bis zum SLK war alles dabei. Mit einer Getriebeausstellung, einer W 100-Rohkarosse, einem W 100-Antriebsstrang sowie einem fast fertig gestellten, frisch restaurierten 600er zeigt das Classic Center seine Kompetenz. Dank Hebebühne konnte man auch mal von unten eines dieser technischen Meisterwerke betrachten.
Edles Blech bei den Händler und Restaurateuren
Schier unermesslich war das Angebot an hochpreisigen Fahrzeugen bei den einschlägigen Händlern und Restaurateuren. Es ist der Internationalität der Messe gezollt, das praktisch jeder Betrieb von Rang und Namen sein Angebot vorstellte.
Schier unermesslich war auch das Angebot der Teilehändler, Automobiliaanbieter, Buchhändler und übrigen Dienstleister. Alleine für diesen Teil der Messe sollte man sich einen Tag Zeit nehmen.
Im Freigelände: Vielfalt zu bezahlbaren Preisen
Traditionell preiswerter sind natürlich die Autos auf den vier Freigeländen. Die Nähe zu Holland hat jedoch in den letzten Jahren die Preise für eigentlich recht alltägliche Autos spürbar anziehen lassen. Wer auf Schnäppchen aus ist, wird lange suchen müssen.
Kreativität auf den Clubständen
Die freien Clubstände sind das Salz in der Suppe der Techno Classica. Hier finden sich die bizarren Autos (Matra 530, Rolls Royce zum Anfassen, Rover P6 in schlimmen Farben, Pandas zum Spaßhaben) und hier trifft sich die Szene, die es gerne auch etwas zünftiger hat. Wie jedes Jahr gibt es absolute Höhepunkte, wie die geniale Modenschau der Queerlenker sowie den Scirocco-Triptychon der Scirocco-Freunde. Sie hatten drei gleich ausgestattete Fahrzeuge aufgefahren, in drei sehr unterschiedlichen Verfallszuständen. Einmal als Verbrauchtwagen, einmal als Gebrauchtwagen und einmal als beinahe Neufahrzeug. Sehr schön ist auch die große Präsenz an amerikanischen Klassikern, da war einiges dabei, was man sonst nicht täglich im Straßenbild zu sehen kriegt.
Wir haben Euch eine kleine Auswahl an Bildern mitgebracht.
Lohnt das Kommen?
Eine gute Frage. Auf der Haben-Seite steht eine Messe, die in ihrer Vielfältigkeit und schieren Größe einzigartig ist in Deutschland. Es findet sich für jeden Auto-Afficiando etwas, für jede Geschmacksrichtung ist etwas dabei (bis auf Busse und Nutzfahrzeuge, die sind wirklich sehr unglücklich und mit kleinster Fläche in den Keller gedrängt).
In den letzten Jahren ist zunehmend der Trend zur Professionalisierung zu bemerken, die Hersteller belegen immer größere Flächen (kein Wunder, "they bring the money"). Den Clubs, die mit ihrer kreativen Standgestaltung das Besondere dieser Messe ausmachten, wird dieser Platz abgezwackt bzw. sie werden in ungünstige Ausstellungsräume verdrängt. Gerade die Halle 1a im Keller unter der Halle 1 versinnbildlicht diese Situation: Während oben Glanz und Popanz vorherrscht, funzeln unten Neonröhren die Autos an und die Lagerraumatmosphäre ist kaum zu übersehen.
Auch der Eintrittspreis versetzt der Begeisterung einen Dämpfer: Man muss einen Zwanzigeuroschein zücken, damit einem Einlass gewährt wird. Das waren mal vierzig deutsche Mark... Zusammen mit den Fahrtkosten (wer aus Süddeutschland anreist, ist schnell mehr als hundert Euro los) habe ich für mich entschieden, dass ein Besuch im Intervall der Olympiade mehr als ausreicht.
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