Bürokratische Feinststäube – oder die Kunst dilettantischer Selbstfesselung

Der Heidelberger Politologe und Professor der TU Kaiserslautern Prof. Klaus Landfried äußert sich kritisch zur deutschen und europaweiten Feinstaub-Debatte.

 

Wann sind Politiker zufrieden? Wenn sie in den Medien auf „Maßnahmen“ zeigen können, die sie auf den Weg gebracht haben, um „Probleme“ zu lösen. Ob diese Maßnahmen dann der Problemlösung dienen, bleibt oft zweifelhaft. Zum Beispiel, wenn die vor rund 40 Jahren ins deutsche Grundgesetz aufgenommene Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Bildung und Forschung jetzt wieder durch eine so genannte Föderalismusreform „entflochten“, d.h. beendet wurde, obwohl die Gründe für jene Zusammenarbeit heute mehr als noch als damals Gültigkeit haben – die Unfähigkeit der Länder nämlich, die in ihrer Zuständigkeit liegenden Schulen und Hochschulen international wettbewerbsfähig auszustatten und  Mobilitätschancen für Lernende wie Lehrende in Europa oder doch wenigstens in Deutschland zu schaffen. Zum Beispiel, wenn man an die sogenannte Gesundheitsreform denkt, die nur mit mehr Bürokratie an Symptomen herumkuriert, statt die Kernprobleme anzupacken.

 

Ein anderes Thema rauschte vor einiger Zeit in Gestalt von bunt klassifizierten Genehmigungsplaketten für Pkws durch die Medien, schon bald für Tausende kommunaler Kontrolleure Arbeit versprechend, obwohl die „Maßnahme“ selbst kaum der Sache dient, unverhältnismäßig ist und zur weiteren bürokratischen Selbstfesselung unserer Gesellschaft beiträgt. Ja, da gibt es in der Tat für Lunge und Bronchien gefährliche Feinstpartikel in Staubform, die zu verringern eine wichtige und ehrenwerte Aufgabe darstellt. Und so hat denn die EU, die auch nicht unter Mangel an im Vorschriften-Machen geübten Paragraphenliebhabern leidet, eine Richtlinie erlassen, die zunächst (wie so oft ) von den deutschen Rechts-Umsetzern nicht recht beachtet wurde, dann aber (wie so oft) in perfektionistischer Gründlichkeit zu einer Kaskade von bürokratischem „Feinststaub“ verarbeitet wurde. Die bisher bekannten Vorschriften mitsamt den farbigen Plaketten missachten leider die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zu den Ursachen von Feinstäuben, und sie verfehlen damit den guten Zweck der Übung. Darüber hinaus aber werden sie, sofern tatsächlich umgesetzt, die Mobilität der Bürger, gerade der Leute mit kleinerem Einkommen, in unzumutbarer Weise einschränken oder sie zu vielleicht konjunkturell erwünschten Ausgaben nötigen, deren Auswirkungen für die Gesundheit aber wiederum problematisch werden könnten. Ich spreche von den Diesel-Partikel-Filtern (DPF) und den – aus unerfindlichen Gründen sogar (je nach Gusto einzelner Städte und Landkreise) mittels der schon erwähnten farbigen Plaketten unterschiedlich gestaffelten – Fahrverboten für Diesel- und sogar auch Benzin-Fahrzeuge, obwohl letztere mit Feinstaub gar nichts zu tun haben.

 

Was sind denn die wissenschaftlich gesicherten Sachverhalte?

 

1. Ein großer Teil der Feinstäube, je nach Region auch der größte Teil, speist sich aus natürlichen Quellen: Vulkanismus, Seesalzemissionen, Bodenerosion und biogene Immissionen wie Schuppen, Pollen, Algen und Pilzsporen (amtlich festgestellt u.a. durch das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie des Landes Mecklenburg-Vorpommern). (Allergiker sind ja besonders geplagt.) In der Schweiz geht das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft von einem Drittel natürlichen Quellen, einem Drittel aus Gewerbe und Industrie sowie einem Drittel aus dem (gesamten) Verkehr aus. Weniger als die Hälfte der vom Verkehr ausgehenden Feinstäube kommt aus dem Auspuff von Lkws und Pkws, also allenfalls etwa 14-16% der Gesamtbelastung. Die größere Hälfte teilt sich auf in „Abrieb und Aufwirbelung“ (sagte der frühere Umweltminister Trittin im Frühjahr 2005) von Bremsen und Reifenpartikeln großer wie kleiner Automobile und – keineswegs unbeträchtlich – in den Bremsabrieb und die Aufwirbelung bei Schienenfahrzeugen (in der Schweiz rund ein Viertel aller verkehrsbedingten Feinstäube). Dass auch die im Ganzen ja umweltfreundlichen Eisenbahnen und Straßenbahnen ihren Anteil an Feinstaub produzieren, mag manchen Auto-Skeptiker ja überraschen.

 

2. Bei einem Anteil von 3% bis 9%, den Dieselruß-Partikel aus Pkw-Abgasen am Feinstaub in deutschen Großstädten haben, ist die Wirkung von DPF sehr begrenzt. Eigentlich müsste man auch gleich die Autoreifen, deren Rußanteil zwischen 20% und 30% beträgt, verbieten… Außerdem gibt es noch für die Dieselmotoren Filter und „Filter“. Die üblichen Partikelfilter reduzieren zwar den Gesamtausstoß an Partikeln um über 80%, lassen aber die besonders gefährlichen Kleinstpartikel (<10 Mikrometer) noch durch. Anders die in einigen Pkw-Modellen und bei einigen wenigen Lkw-Typen lieferbaren PM-Katalysatoren (von einem Nachrüster als „Rußfilter-Kat“ vermarktet, obwohl nichts „gefiltert“ wird...): auf einer Metallvlieslage wird der dort sich ablagernde Dieselruß kontinuierlich verbrannt, die Kleinstpartikel (<10 Mikrometer) werden zu etwa 90%, die anderen Partikel aber nur zu etwa 30%  reduziert.

 

3. Innerstädtische Fahrverbote für DPF-lose Fahrzeuge gehen dreifach in die Irre. Erstens weil die von „draußen“ hereinwehenden Feinstäube unterschiedlichster Herkunft sich davon nicht werden beeindrucken lassen, also die Wirkung der Fahrverbote ins Leere geht, zweitens weil der Anteil von Partikeln aus Fahrzeugabgasen ohnehin nicht groß ist, also die angedachte Reduzierung der Partikel gering bleibt, drittens weil andere Formen der wirksamen Reduktion von Kleinstpartikeln durch PM-Kats und vor allem durch Harnstoff-SCR-Kats bisher von unseren Vorschriften-Erfindern einfach ignoriert werden. Letztere KATS erfüllen sogar die strengen Bedingungen von EURO 5 (ab 2008). Dass aber gleich noch Benzinfahrzeuge, sogar solche mit geregeltem KAT (EURO 1), oder die nach Zahl und Auswirkung zu vernachlässigenden Oldtimer gleich mit ausgesperrt werden können, ist völlig unangemessen, weil mit sachlichen Gründen schon gar nicht zu erklären. Die Verwaltungsrichter dürfen sich schon auf substantiierte Klagen freuen.

 

4. Machen nun die DPF unsere Luft gesünder? Minimal vielleicht, aber: Forscher haben auch herausgefunden – leider wird das zuwenig publiziert – dass bei den Regenerations-Zyklen der zur Zeit üblichen Keramik-DPF erhebliche Mengen polyzyklischer aromatischer Wasserstoffe (PAHs) freiwerden, darunter giftige Benzpyrene. Bei Verbrennung der PAHs können sogar Dioxine und Furane entstehen. Nichts Gesundes jedenfalls, solange nicht weniger riskante Werkstoffe Verwendung finden, z.B. Metall-Gestricke, die jenen Nachteil vermeiden, aber geringfügig teurer sind.

 

5. Auf eine weitere Quelle von – gefährlichen – Feinstäuben will auch kaum jemand aufmerksam machen, nicht einmal das sonst so aktive Umweltbundesamt. Es geht um eine andere Errungenschaft früher Umweltmaßnahmen, nämlich um die zerbröselnden Fasermatten alternder Keramik-Katalysatoren, wie sie zu Millionen in Pkws auf den Straßen herumstauben. Auch hier würden Draht-Gestricke, die pro Auto nur wenige Euro kosten, für unsere Gesundheit mehr bewirken als jene ebenso unnötigen, wie die Bürger sinnlos schröpfenden Fahrverbote und die mit ihnen verbundene „Feinststaub-Bürokratie“, die von einer leider auch hier dilettantischen Politik ins Werk gesetzt wird.

 

Vielleicht gelingt es noch protestierenden Bürgern, die obrigkeitliche Umweltpolitik wieder zum Augenmaß zurückzuführen.

 

© Klaus Landfried 2006

 

Nachtrag: Dieser Text ist zwischenzeitlich in der Welt erschienen: http://www.welt.de/data/2006/10/05/1059564.html

 

(c) ikonengold.de, 2006-2012 ::: Impressum