Heute, im Jahre 2005 finden sich nur noch sehr, sehr selten kleine Dieselflossen im Straßenbild. Eine Überlebende, die sogar noch im Alltag eingesetzt wird, findet sich in der Hand von Wolfgang Küppers aus Altenriet bei Tübingen. Jungen in seinem Alter haben normalerweise ja anderes im Sinn. Sie träumen von Klarglasrücklichtern, „bösem Blick“ und anderem Schnickschnack, mit dem sie Mutters Kompaktwagen schikanieren können. Der Achtzehnjährige ging die Lösung seiner Transportbedürfnisse jedoch auf sehr individuelle Weise an. Bei der Suche nach einem eigentlich neueren Mercedes fiel ihm im Internet die Kleinanzeige für die Heckflosse auf. Da der Wagen auch in der Nähe stand, wollte er sich das Ganze unverbindlich ansehen. Wenig später (und nach Wechsel einer frappierend niedrigen Kaufsumme) war er stolzer Besitzer einer hellgrauen 1967er Flosse mit geschmackvollem weißem Dach, die sich trotz der langen Standzeit von acht Jahren in einer Scheune noch als ausgesprochen rüstig zeigte. Natürlich galt es erst, eine Reihe von Standschäden zu beseitigen. Die Bremsflüssigkeit, die Bremsschläuche, alle anderen Flüssigkeiten verlangten nach Austausch und nach Beseitigung von ein paar anderen Kleinigkeiten stellte sich der Wagen von seiner zuverlässigen Seite dar. Zuverlässigkeit war auch gefordert, galt es doch, den ausgeprägten Bewegungsdrang des angehenden Abiturienten zu befriedigen. Da kommt es schon mal vor, dass im Anschluss an das Pfingstreffens des Vereins der Heckflossenfreunde in Ornbau bei Nürnberg noch ein kurzer Abstecher zu Freunden in Potsdam eingelegt wird. Nach 18 Monaten Einsatz, bestandenem Abitur und einigen Touren durch das Land ist der Kilometerzähler um 40 tausend Einheiten vorgerückt. Dabei erfuhr der Wagen natürlich auch ein paar Individualisierungen. So wich die schwarze Radioscheußlichkeit der 80er Jahre moderner Unterhaltungselektronik, ein formschöner Ventilator sorgt auch im Sommer für angenehmes Klima und nachträglich eingebaute Kopfstützen sind für den Limousinenfahrer ein stilistisches Muss, auch wenn sie einem W 116 entstammen. Dass Wolfgang Küppers langfristig denkt, kann man an zwei Aussagen in unserer Kaffeerunde festmachen: „Ich will kein anderes Auto mehr, die Flosse hat all das, was ich brauche: Platz, Seele, im Prinzip niedrige Kosten.“ und “Ich mach mir langsam Gedanken über eine Motorrevision. Der zieht nicht mehr richtig und braucht auch viel Öl. Ist ja eh der zweite Motor, der ist 1969 rein gekommen. Er hat jetzt halt auch schon 530 tausend Kilometer runter, da ist das schon in Ordnung.“
Weiter mit: Der W 115.115 von Dr. Hans-Christian Schneider