Der W 124.120 von Simone Weber

 

Die Autowelt kam aus dem Staunen nicht heraus, als Mercedes im Dezember 1984 den
W 124 zum ersten Mal der Öffentlichkeit zeigte. Zwar hatte man schon drei Jahre vorher mit dem W 201 die Marschrichtung vorgegeben, dennoch übertraf das Vorgestellte die Erwartungen bei weitem. Die Karosse war im Windkanal geglättet (und setzte mit einem cW-Wert von 0,28 eine Weile den Maßstab), konsequenter Leichtbau reduzierte, bei gleichzeitig deutlich verbesserter Geräuschdämmung, das Gewicht unter die Werte des Vorgängers und das schon im W 201 vorgestellte, völlig neuentwickelte Fahrwerk war verantwortlich für eine Straßenlage, die auch die Entwicklungsabteilungen der Wettbewerber für lange Zeit in Staunen versetzte. Auch antriebsseitig hatte man keine Kosten und Mühen gescheut, die Kunden mit modernen, zukunftsweisenden Konstruktionen zu überzeugen. Zwar hatte der Vierzylinder-Benziner im W 123 und die neue Dieselmotorengeneration mit dem OM 601 schon im Babybenz der Baureihe W 201 ihr Debüt gefeiert, zusammen mit den neu vorgestellten Diesel-Fünf- und -Sechszylinder  und Benziner-Sechszylindern fand der Kunde jedoch eine vielfältiges, aber dennoch abgerundetes Produktportfolio vor. Ausgerechnet der kleine Diesel im 200 D war es aber, der am Anfang Kunden und Kundendienst einiges an Verdruss bescherte. Mit seinen 72 PS hatte er die Leistung des ehemaligen 240 D mit dem Hubraum des ehemalige 200 D vereint, was ihm gerade bei der Taxikundschaft einen ungemeinen Erfolg brachte. Es  zeigte sich aber im Teillastbereich mit häufigen Lastwechseln, der für ein Taxi im Stadtverkehr typisch ist, ein unangenehmes Aufschaukeln des Antriebsstrangs. Die Unzufriedenheit gipfelte in einer Demonstrations-Sternfahrt vor den Firmensitz in Stuttgart-Untertürkheim, wo lautstark eine Lösung des Problems gefordert wurde. Mit einem Bündel an Maßnahmen sowie umfangreichen Kulanzarbeiten wurde man dem sogenannten „Bonanza-Effekt“ schlussendlich Herr, so dass sich die Taxifahrer mit dem W 124 versöhnten. Man könnte meinen, dass sich sogar eine Art Liebe entwickelte: Heute noch finden sich tausende 200 D und E 200 Diesel, wie das Modell nach der zweiten Modellpflege 1993 hieß, an den Taxiständen und so wie es aussieht, werden sie noch für lange Jahre im Dienst stehen.

 

Ein altes Taxi war es auch, das sich Simone Weber aus Bezau im Bregenzerwald im Frühjahr 2004 als Reisewagen kaufte. Beruflich durch ihre Firma an Vorarlberg gebunden, zog es die Exportsachbearbeiterin  privat zu ihrem Lebenspartner in die Nähe von Stuttgart. Es war also ein Fahrzeug erforderlich, das für das Langstreckenpendeln mehrmals im Monat hohen Komfort, hohe Sicherheit mit niedrigem Verbrauch und niedrigen Betriebskosten vereint. Gefunden hat sie den Wagen dort, wo man sonst nicht nach guten Gebrauchtwagen suchen sollte: Beim Fähnchenhändler an der Ausfallstraße vor den Toren der Stadt. Klassisch kam der Verkauf per Handschlag auf dem Kiesplatz zustande, die Vertragsunterzeichnung folgte in dem als Büro dienenden, abgehalfterten Wohnwagen. Allen Beteiligten war selbstverständlich klar, dass die Angaben auf dem Kilometerzähler (87.751 km) und im Kaufvertrag (ca. 300.000 km) reine Makulatur waren. Der geschätzte Laufleistung dürfte, als Referenz zog der zur Begutachtung herangezogene Freund seine als studentischer Taxifahrer erfahrene Erfahrung zurate, bei rund einer halben Million Kilometer liegen. Allerdings überzeugte der Wagen durch einen gesunden Motor, rostfreie, gerade Karosserie, einer intakten Innenausstattung und insgesamt einem sehr soliden Zustand. Natürlich galt es, dem Fahrwerk ein paar verschleißbedingte Flausen auszutreiben. Da man aber, mit W 123, W 116 und Heckflosse im eigenen Fuhrpark schon über einige Schraubererfahrung verfügte und im Clubumfeld des Vereins der Heckflossenfreunde sehr gute Kontakte zu Werkstätten knüpfen konnte, ließen sich die notwendigen Reparaturen schnell und preisgünstig ausführen. Dazu kam das erfreulich niedrige Preisniveau der Originalersatzteile: Bremsscheiben für ca. 25 Euro das Stück reißen keine großen Löcher in das Wartungsbudget. Kleine Löcher ins Budget reißt auch der Besuch an der Tankstelle: Verhalten gefahren gibt sich der 200 D mit 6,0 bis 6,5 l/100 km zufrieden, aber selbst unter dauerhafter Ausnutzung der 160 km/h Höchstgeschwindigkeit lassen sich kaum  mehr als 7,5 l/100 km durch die Einspritzanlage drücken. Was für Simone Weber neben den Kosten auch zählt, ist die unglaubliche Geborgenheit, die der Wagen vermittelt. Wer einmal morgens um halb sechs im Schneegestöber die A 96 zwischen Lindau und Memmingen befuhr, die Luft angenehm per Einstellung am Rändelrad temperiert, den Motor leise und vertrauenseinflößend vor sich brummeln hörte, wird bestätigen: Es gibt kaum ein Auto, das einem besser das Gefühl vermittelt, alles werde gut und man würde selbstverständlich sicher das Fahrziel erreichen.

 

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