Fahrverbotszonen und soziale Gerechtigkeit
Text: Eberhard Weilke
Bild: Marsin
Die Frage der „Sozialen Gerechtigkeit“ ist ein Thema, das bei jeder gesellschafts- und umweltpolitischen Fragestellung berücksichtigt werden sollte. Wer profitiert von einer Maßnahme? Für wen verbessert sich die Lebenssituation? Wer trägt die Kosten?
Nutzt die Regierung beispielsweise die Ökosteuer als Lenkungsinstrument, um den Energieverbrauch durch erhöhte Kosten für den Verbraucher zu reduzieren, hat das für sozial schwache Bevölkerungsschichten, die einen prozentual weitaus höheren Anteil ihres Einkommens für Energie ausgeben, weitreichender Auswirkungen als für wohlhabende Schichten, die nur einen geringen prozentualen Anteil ihres Einkommens aufwenden müssen.
Wenn man den Bürgern die Möglichkeit gibt, durch geändertes Verhalten sich mit Augenmaß eingeführten Regelungen anzupassen, ist dagegen auch wenig einzuwenden. Schwierig wird es nur, wenn ohne Sinn und Verstand willkürlicher Aktionismus an den Tag gelegt wird, welcher der Sache nicht dient und im Endeffekt nur zu ungerechten Belastungen Einzelner führt, ohne das wirkliche Problem zu lösen.
Bei der Frage der Fahrverbote zur vermeidlichen Reduzierung der Feinstaubbelastung ist jetzt genau diese Situation entstanden. Die Feinstaubwerte haben sich in den schon jetzt eingeführten Zonen nicht verringert, dafür kam es zu ungerechten Belastungen einzelner Bürger. Für das zweite Ziel, die Stickoxidemissionen zu reduzieren, sind die Maßnahmen untauglich bzw. teilweise kontraproduktiv, da viele Nachrüstpartikelfilter diese Emissionen sogar erhöhen.
Viel zu wenig berücksichtigt werden jedoch die Auswirkungen und Belastungen durch die Fahrverbote auf die unterschiedlichen sozialen Schichten. Um dies zu illustrieren, stellen wir vier typische Familien vor.
Familie Brandenburg
Otto Brandenburg hat es geschafft. Seine Agentur für Kommunikationsberatung läuft hervorragend, die Kinder entwickeln sich prächtig: Die Kleine kam gerade ins Gymnasium, der Goße macht in zwei Jahren Abitur. Das Thema „Fahrverbote“ hat er am Rande mitbekommen, er findet es aber gut, das endlich etwas gegen die alten Stinker getan wird. Zwar klebt auf dem als Firmenwagen geleaste BMW X5 nur eine gelbe Plakette, da der Leasingvertrag aber noch dieses Jahr ausläuft, wird er als nächsten Wagen halt einen mit Partikelfilter bestellen. Um sein Umweltbewusstsein zu zeigen, hat er vor fünf Jahren eine Holzpelett-Heizung in seiner Gründerzeit-Villa eingebaut und Miriam, seine Frau, fährt seit diesem Sommer einen Toyota Prius. Der Jaguar E-Type, der als Spaßauto für das Wochenende in der Garage steht, ist dank der Anstrengungen des ADAC bzw. VDA vom Fahrverbot ausgenommen, so stand das ja überall in der Presse. Und der Scooter vom Sohnemann macht zwar einen Höllenkrach, aber so richtig viel Abgas wird das kleine Ding doch schon nicht produzieren.
Familie Dietze
Als Reinhold Dietze und seine Frau vor vier Jahren ein neues Auto kaufen mussten, war Augenmaß gefragt. Zwar ist das Gehalt als Konstrukteur in einer mittelständischen Maschinenbaufirma ganz in Ordnung, jedoch stehen für die junge Familie auf der Kostenseite auch ganz schöne Posten: Die Miete im Ballungsgebiet ist hoch, das Kindergartengeld für den Kleinen recht happig und das Bafög-Darlehen soll ja auch noch abbezahlt werden. Zum Glück haben die Schwiegereltern beim Kauf einen Zuschuss gegeben, so dass sie den drei Jahre alten Audi A4 Avant kaufen konnten. Sicher, der Preis war nicht niedrig, dafür versprach der sparsame tdi-Motor, die verzinkte Karosse und die bekannt hohe Qualität für die nächsten Jahre eine wirtschaftliche Lösung für die Mobilitätsbedürfnisse der Familie.
Doch leider gibt es für den Audi nur die gelbe Plakette, sehr bald droht also das Fahrverbot. Für die Familie Dietze bieten sich jetzt zwei unattraktive Möglichkeiten: Das Nachrüsten mit einem Partikelfilter oder der Verkauf des Fahrzeugs. Vom Einbau eines offenen Partikelfilter hält Reinhold Dietze als Maschinenbauer recht wenig, da die Filterwirkung nur gering ist, dafür die Gefahr von Verbrauchserhöhung und Motorschäden groß. Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Filter die Stickoxid-Werte erhöht, das Auto also mehr emittiert, als vorher.
Und der alternative Verkauf des Wagens ist auch nicht so einfach. Die Autos mit gelber Plakette sind stark im Wert gefallen, die Anschaffung eines neueren Fahrzeugs deshalb nicht so einfach zu finanzieren.
Bleibt wohl nur wieder der Gang zu den Schwiegereltern.
Familie Batu
Als die Eltern von Cenk Batu in den frühen 60er Jahren aus Eskisehir nach Deutschland kamen, konnten sie nicht ahnen, dass ihr Sohn eines Tages eine eigene Firma haben wird, die sieben Mitarbeiter in Lohn und Brot hält. Sicher, der Junge war tüchtig und sie waren sehr stolz auf seinen guten Realschulabschluss. Auch die Lehre zum Elektriker hat er locker absolviert, es war daher klar, dass sie ihm die Meisterschule finanzieren.
Für Cenk Batu arbeiten jetzt vier Gesellen und drei Lehrlinge, die Firma hat gut zu tun mit Aufträgen für die Stadt (er hat den Rahmenvertrag für alle Schulen und Kindergärten) und auch Privatkunden schätzen die saubere und schnelle Arbeit.
Ein Problem zeichnet sich jedoch ab: Die vier Firmenwagen haben zwar alle nur jeweils etwa 60 tkm auf dem Tacho, müssen aber dennoch ersetzt werden. Für die Ford Transit gibt es nur die rote Plakette, für die VW Transporter noch nicht einmal diese. Vier kleine Lieferwagen in Handwerkerausführung werden ihn etwa 60.000 Euro kosten, mal sehen, ob die Bank da mitspielt. Um Kosten zu reduzieren, wird er im nächsten Jahr keinen Lehrling einstellen und wenn es ganz dumm läuft, muss er einen Gesellen entlassen und ihn dann als Subunternehmer beschäftigen.
Dass der Mercedes Kombi, den er sich für die Familie vor fünf Jahren geleistet hat, auch ersetzt werden muss, das ist dann das nächste Problem.
Familie Gerber
Es ist nicht ganz einfach, mit einem Gehalt als Werkzeugmacher drei Kinder großzuziehen. Trotzdem ist Franz Gerber stolz darauf, dass alle Kinder auf weiterführende Schulen gekommen sind und dass seine Frau Karin in der Jugendarbeit in der Gemeinde sich so engagiert hat. Vom Traum, einmal einen BWM Sechzylinder zu fahren, hat er schon lange verabschiedet, er ist froh, wenn er das Geld für die Reparaturen am VW-Bus zusammen bekommt. Den konnte er vor fünf Jahren auf einer Auktion der Stadtwerke erstehen, jetzt ist alles durchrepariert und der Wagen bringt ihn zuverlässig zum Schichtdienst in die Firma, am Wochenende ist meist Karin für die Gemeinde unterwegs oder er fährt die Jungs mit der Mannschaft zum Fußballturnier.
Den Bus mit einem Partikelfilter nachzurüsten, ist gar nicht so einfach, da derzeit alle Gutachten eingezogen wurden. Ob es jemals ein eintragungsfähigen System gibt (vom Wunsch nach Funktionsfähigkeit hat Franz Gerber sich als Realist schon lange verabschiedet) steht in den Sternen.
Was also tun? Soll er einen preiswerten Koreaner leasen? Eine weitere monatliche Verpflichtung ist in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage eine stark zu überdenkende Entscheidung. Den Bus an den nächsten Exporteur verkaufen und einen Kleinwagen mit Benzinmotor kaufen? Das geht schon, hat aber großen negativen Einfluss auf das Sozialleben der Familie.
Wie Franz Gerber es dreht und wendet: Die Einführung der Fahrverbotszonen hat ziemlich starken Einfluss auf sein Leben und das Leben seiner Familie.
Fazit: Am Problem vorbei die Falschen getroffen
Die Fahrverbotszonen sorgen keineswegs, wie von den Verbänden und den Ministerien behauptet, für bessere Lebensverhältnisse gerade für die sozial weniger gut gestellten Bevölkerungsschichten. Die Luft-Schadstoffwerte im städtischen Umwelt haben sich nicht verbessert, dafür wurden willkürlich Menschen in ihren Mobilitätsbedürfnissen getroffen. Das mag für einen Teil der Bevölkerung ein geringes Problem sein, da sie aufgrund ihrer finanziellen Lage sich schnell an die Gegebenheiten anpassen können, für Familien, kleine Handwerksbetriebe und sozial Schwache verursachen die Fahrverbotszonen nur schwer lösbare Probleme.
Hier sind uns die Hauptakteure bei der Einführung, beispielsweise die Umweltministerin von Baden-Württemberg Tanja Gönner (CDU), die Umweltsenatorin von Berlin, Katrin Lompscher (Die Linke) oder der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bisher eine Antwort schuldig.
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